Produkt-Compliance: Die Anforderungen an die Sicherheit von
Produkten steigen
Als Verbraucher
vertrauen wir darauf, dass die Produkte, die wir kaufen,
sicher sind. Das ist nicht immer der Fall, wie die Zunahme
an Produktrückrufen zeigt. Die Rückruftrends, speziell im
Bereich der Automobilindustrie, könnten ein Indiz dafür
sein, dass sich die Produktqualität insgesamt
verschlechtert. Gleichzeitig aber kann der Trend auch durch
die stetige Verschärfung des Produktsicherheitsrechts
begünstigt sein. Die Anforderungen an Produkte werden immer
komplexer. Damit wächst auch die Verantwortung der
Hersteller, denn sie haften dafür, dass die in Verkehr
gebrachten Produkte sicher sind.
Von Dipl.-Betriebswirt Eckart
Achauer, MBA – 14. Januar 2019
I. Begriffsbestimmung
Dem Produktsicherheitsrecht sind alle gesetzlichen
Bestimmungen zugeordnet, die einen Sicherheitsbezug
aufweisen und formale und/oder materielle Anforderungen an
Produkte stellen. Für die meisten Produktgruppen gelten
einheitliche Sicherheitsanforderungen, die ihren
Niederschlag in EU-Richtlinien oder EU-Verordnungen finden.
Für Deutschland ist das "Gesetz über die Bereitstellung von
Produkten auf dem Markt" (Produktsicherheitsgesetz - ProdSG)
aus dem Jahr 2011 maßgeblich.
II. Anforderungen an Produkte
Nach deutschem Recht gilt für Produkte im
europäischen-harmonisierten Bereich § 3 Abs 1 ProdSG. Diese
Bestimmung besagt, dass ein Produkt, soweit es einer
Rechtsverordnung nach § 8 Abs 1 ProdSG unterliegt, nur dann
in Verkehr gebracht werden darf, wenn es die darin
vorgesehenen Anforderungen erfüllt. Maßgeblich dabei ist,
dass die Sicherheit und Gesundheit von Personen oder
sonstige genannten Rechtsgüter bei bestimmungsgemäßer oder
vorhersehbarer Verwendung nicht gefährdet werden.
Von Bedeutung ist, dass § 8 Abs 1 ProdSG eine Ermächtigung
für die jeweils zuständigen Bundesministerien enthält,
Rechtsverordnungen zu erlassen. Diese dienen insbesondere
dem Zweck, von der Europäischen Union erlassene
Rechtsvorschriften umzusetzen. Auf dieser normativen
Grundlage sind beispielsweise die Niederspannungsverordnung
(1. ProdSV) und die Maschinenverordnung (9. ProdSV)
entstanden.
Als Maßstab für die Produktsicherheit wird nicht nur die
"bestimmungsgemäße Verwendung" herangezogen, sondern auch
die "vorhersehbare, naheliegende Fehlanwendung". Damit
erweitert sich der Schutzbereich der Norm. Die
bestimmungsgemäße Verwendung ist in § 2 Ziffer 5 ProdSG
definiert. Sie bemisst sich primär nach der
Verwendungsbestimmung des Herstellers (§ 2 Ziffer 5 a
ProdSG). Fehlt eine solche Verwendungsbestimmung, ist "die
übliche Verwendung, die sich aus der Bauart und Ausführung
des Produkts ergibt" der anzulegende Maßstab (§ 2 Ziffer 5 b
ProdSG).
Der vorhersehbare Fehlgebrauch ist hingegen in § 2 Ziffer 28
ProdSG definiert. Dieser ist vom "nicht mehr erfassten
erkennbar unsachgemäßen, widmungsfremden Fehlgebrauch" sowie
vom "absichtlichen Missbrauch" abzugrenzen; beide sind für
die Bestimmung der erforderlichen Produktsicherheit nicht zu
berücksichtigen.
Alle Produkte, die zwar vom Anwendungsbereich des ProdSG
erfasst werden, aber nicht unter § 3 Abs 1 ProdSG zu fassen
sind, gehören dem nicht-harmonisierten Markt an. Für diese
Produkte ist die Bestimmung des § 3 Abs 2 ProdSG relevant.
Danach darf "ein Produkt, soweit es nicht Absatz 1
unterliegt, nur auf dem Markt bereitgestellt werden, wenn es
bei bestimmungsgemäßer oder vorhersehbarer Verwendung die
Sicherheit und Gesundheit von Personen nicht gefährdet.
III. Marktaufsicht und -überwachung
Die Befugnisse der behördlichen Marktaufsicht und
-überwachung sind in § 26 Abs. 2 und 4 ProdSG geregelt
(Marktüberwachungsmaßnahmen). Ein für Hersteller und/oder
Händler besonders öffentlichkeitswirksamer und
reputationsschädigender Bestandteil der Marktüberwachung ist
der Rückruf von bereits in Verkehr gebrachten Produkten.
In § 24 ProdSG sind die Zuständigkeit und die Zusammenarbeit
der Behörden im Kontext der Überwachung geregelt. Zuständig
sind die Bundesländer. Hierfür wurde speziell der
Arbeitsausschuss Marktüberwachung (AAMÜ) eingerichtet. Diese
Stelle übernimmt die Koordination der Zusammenarbeit der
Marktüberwachungsbehörden der Länder.
Im Kontext von Überwachungsmaßnahmen ist § 26 Abs. 2 ProdSG
einschlägig. Dieser ermächtigt die
Marktüberwachungsbehörden, erforderliche Maßnahmen zu
treffen, wenn der begründete Verdacht besteht, dass ein
Produkt den erforderlichen Sicherheitsanforderungen nicht
entspricht. Hierzu zählt gemäß § 26 Abs. 2 Ziffer 7 ProdSG
die Anordnung eines Rückrufs eines Produktes. Dabei ist der
Begriff "Rückruf" weit gefasst: hierunter ist jede Maßnahme
zu verstehen, die darauf abzielt, die Rückgabe eines dem
Endverbraucher bereitgestellten Produkts zu erwirken.
IV. Produkt-Compliance
Unternehmen müssen daher im Rahmen der Produkt-Compliance
sicherstellen, dass ihre Produkte alle Gesetze, Regeln und
Vorschriften erfüllen, die für diese Produkte relevant sind.
Dazu wird die sogenannte Produktkonformität überprüft,
getestet und dokumentiert. Dafür braucht es im Unternehmen
geeignete Prozesse und Management-Methoden, die als
Produkt-Compliance-Management zusammengefasst werden.
Wesentlicher Bestandteil des Produkt-Compliance-Managements
ist die Risikoanalyse und -bewertung: hier werden
einschlägige Informationen gesammelt und bewertet, damit nur
solche Produkte auf den Markt kommen, die dann in der
Anwendung keinen Schaden verursachen - oder zumindest das
Risiko minimieren.
V. Maßnahmen im Rahmen des Produkt-Compliance-Managements
Durch das ProdSG können sich erhebliche Haftungsrisiken
ergeben. Damit gehören Produktrisiken systematisch in das
Risikomanagement eines jeden Herstellers, Einführers oder
Händlers. Ein Verstoß gegen einschlägige Bestimmungen stellt
- neben potenziellen zivilrechtlichen Haftungsrisiken - auch
ein Compliance-Risiko dar, das nicht unterschätzt werden
darf. Nachstehend einige wesentliche Maßnahmen, die vor
Compliance-Verstößen und den sich daraus ergebenden Risiken
schützen können.
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Einsatz
eines ganzheitlichen Risikomanagements
Die Risikobeurteilung muss umfassend sein. Sie muss
daher alle potenziellen Fehlerquellen
berücksichtigen. Hierzu zählen insbesondere auch
eingekaufte, also fremdproduzierte Teile eines
Produktes. Zu beachten sind dabei unbedingt alle
Phasen der Anwendung: Transport, Installation,
Rüsten, Betrieb, Wartung, Reinigung, Fehlersuche,
Instandsetzung und Demontage. |
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Beachtung insbesondere der in § 6 ProdSG
aufgezählten Pflichten bei der Bereitstellung
des Produktes auf dem Markt. |
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Einholung von Rat und Informationen bei Behörden und
Organisationen
Speziell, wenn Produkte entwickelt werden, die für
Drittländer bestimmt sind, gelten besondere
Anforderung. Diese unterscheiden sich teilweise
erheblich von den in Deutschland geltenden
Anforderungen. Das gilt insbesondere für
Sicherheitsaspekte. |
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Berücksichtigung der Verbrauchersichtweise
Bei vielen Produkten muss auch mit einer anderen
Verwendung durch den Verbraucher gerechnet werden.
Dies gilt vor allem für sog. Migrationsprodukte, die
vom Hersteller zwar für die gewerbliche Nutzung
bestimmt sind, die aber unter vernünftigerweise
vorhersehbaren Bedingungen auch von privaten
Verbrauchern benutzt werden können, z.B.
Handmaschinen im Heimwerkerbereich. |
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Sofortige Fehlerbehebung
Ein erkannter Fehler ist unbedingt sofort zu
beheben. Ein Warnhinweis allein genügt nicht. |
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Haftung
auf bei Fertigung im Kundenauftrag
Ein Hersteller kann sich nicht dadurch exkulpieren,
dass er sich darauf beruft, er habe ein Produkt
auftragsgemäß, d.h. nach Wunsch des Kunden,
gefertigt. Die Haftung bleibt beim Hersteller. Daher
gilt: bei fehlender Sicherheit muss die Fertigung
zurückgewiesen oder angepasst werden. |
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Vollständige Dokumentation
Hierzu
gehören u.a.:
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Gebrauchs- bzw. Bedienungsanleitung |
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o
Sicherheitshinweise Beschreibung des
Produkts |
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Technische Daten |
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Name und Anschrift des Herstellers |
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Serviceadressen und Lieferanten von Zubehör-
und Ersatzteilen |
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o
Montageanweisung Garantie- bzw.
Gewährleistungshinweise |
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o Informationen
zur Außerbetriebnahme sowie zur Reinigung
und Entsorgung |
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Zum Autor
Dipl.-Bw. Eckart Achauer ist Geschäftsführer der AGAMON
Consulting GmbH mit Sitz in Berlin, einer auf Risiko- und
Compliance Management spezialisierten Beratungsgesellschaft.
Er ist Autor der Studie „Compliance Management - Entwicklung
Mittelstand, Empirische Studie über die
unternehmenskulturelle und organisatorische Entwicklung des
Compliance Managements in mittelständischen Unternehmen
2018“. Als Berater begleitet er seit vielen Jahren
Unternehmen bei Aufbau und Implementierung von Risiko- und
Compliance Management Systemen und führt Risiko- und
Compliance-Audits durch. Er ist offizieller Trainer der IHK
Akademie München für das Thema Compliance Management. |